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Hintergründe

Geschichten ohne Einschränkungen erzählen

Zu Beginn hatte jeder Mensch eine Stimme.

Er musste diese nutzen und damit spielen, um seine Geschichten zu erzählen. Mit der Industrialisierung und Technologisierung haben wir unsere Stimme immer wieder verstärken und multiplizieren können. Das Geschichten-Erzählen und Kommunizieren gehört wohl zu den wichtigsten Differenzierungen des Menschen vom Tier: Die Liebe dazu ist uns immer geblieben, unabhängig davon, was um uns herum passiert ist.

Wie in vielen anderen Bereichen sind wir nun Opfer unseres unermüdlichen Erfindungsgeistes geworden. Wir haben die Kommunikationskanäle derart vervielfältigt, dass die Geschichten, die wir uns erzählen wollen, so viele Adressaten erreichen, dass sie zu Spam werden. Wir haben vergessen, ob wir die Geschichte wegen der Zuhörer erzählen, oder nur noch für uns, damit wir meinen, dass wir leben. Die Geschichten mit den tausend Adressaten versinken damit in der völligen Nichtigkeit und verlieren ihre Bedeutung. Das, was wir eigentlich erreichen wollten, dass unsere Geschichten noch lauter noch viel mehr Zuhörern erzählt werden können, hat ins Gegenteil umgeschlagen: Der menschliche Sinnesapparat kann parallel zu einem typischen Alltag unmöglich 300 facebook-Freunde, Hunderte Twitter-Follower, viele Whatsapp-Freunde und noch etliche Google+-Streams verarbeiten.

140 Zeichen reichen für keinen einzigen Gedanken inkl. kausaler Herleitung.

Hand aufs Herz: Wissen Sie jeweils am Abend, mit wie vielen Menschen Sie auf irgendeine Art kommuniziert hatten? Die wenigsten tun das. Das war nicht immer so – auch in meinem Leben. Posts mit kaum relevanten Inhalt nur der Anerkennung wegen zu schreiben, multipliziert den Spam-Effekt.

Heute versinken unsere Geschichten in ihrer Nichtigkeit. Sie sind Spam.

Damit die Dienstleister, die Plattformen zur Verteilung von Geschichten zur Verfügung stellen, den Absendern dennoch möglichst viele Empfänger anbieten können, da ihre Erfolgsmodelle genau auf dieser Generierung von Aufmerksamkeit zur Schaltung von Werbung basieren, beschneiden Sie uns an allen Enden und Ecken in unserem tun. Meist sind wir aber zu beschäftigt, unsere Messages zu posten, als dass wir das wirklich merken würden.

Meine Beziehung zu Social Media ist ambivalent. Ich liebe den Input, der von den mir verbundenen Menschen da draussen zu mir gelangt. Ich will aber nicht zu denen gehören, die vor lauter Kommunikation das Leben verpassen. Ich reflektiere oft meinen Umgang mit Medien, realisiere dann, dass ich wieder auf Abwege gekommen bin, parametrisiere meinen Umgang neu und wende dies dann an, damit ich im Moment da bin, wo ich bin.

Wir sollten uns dagegen wehren, dass uns vorgeschrieben wird, wie wir unsere Geschichten zu erzählen haben.

Diese Website und insbesondere den Blog habe ich darum eingerichtet, weil ich mich dagegen wehre, dass ich nur 140 Zeichen soll twittern dürfen, dagegen, dass ich bei facebook meine Welt nicht nach meinem Geschmack gestalten darf, dagegen, dass auch bei facebook meine Posts in der Länge beschränkt sind, und dagegen, dass mich dieser unsägliche Edgerank bevormundet und parallel dazu klamheimlich immer noch etwas profitorientiert angepasst wird, ohne dass wir darüber informiert würden. Die Liste liesse sich noch lange fortsetzen.

Manche sagen, sie lieben Twitter, weil der Absender damit gezwungen sei, seine Nachricht auf den Punkt zu bringen. Meiner Ansicht nach ist diese Beurteilung völlig falsch. Es ist vielmehr so, dass der Empfänger eine ungenügend genau beschriebene Nachricht bei deren Ankunft viel besser interpretieren und auslegen kann.

Wir sind damit nicht nur eitle, teilweise narzisstische Posts-Schreiber von Mini-Geschichten, sondern geben unserer Selbstdarstellung auch bereits im Lesen von Nachrichten viel Platz, in dem wir annehmen, dass wir die Nachricht verstanden hätten, die in dieser kurzen Zeichenanzahl höchst selten den Raum für Fehlinterpretationen ausräumen kann.

Kurze Texte sind nicht zwingend gut. Sie sind meist variantenreich interpretierbar und ähneln oft einem verzweifeltem Rufen im Kampf um Aufmerksamkeit.

Immanuel Kant brauchte 10 Jahre seines Lebens, in dem er sich seine Dinge erdachte und zurecht legte, bis er dann ein Buch schrieb, das die Welt bis heute prägt. Ich bin überzeugt davon, dass nicht alle Geschichten in Mini-Posts passen – und selbst liebe ich es, spannende Geschichten zu lesen, viel mehr als spannende Posts, weil man sich mit Geschichten gedanklich ernsthaft auseinandersetzt, diese nicht einfach nur vorbei rauschen lässt. Und natürlich wehre ich mich dagegen, dass mir facebook vorschreiben will, wie ich meine Videos zu vertonen habe – dies war ein Schlüsselerlebnis, bei dem mir klar wurde, dass ich meinen ganz eigenen Content-Hub haben will.

Ich freue mich auf die Interaktion auf diesen Seiten!